Die unverwechselbaren Allesfresser mit dem exzellenten Geruchssinn sind mittlerweile fast weltweit anzutreffen. Wie ist ihr Sozialverhalten, warum haben Keiler einen Schild und weshalb ist ihr Speiseplan so abscheulich?
Durch ihre exzellente Anpassungsfähigkeit zählen Wildschweine zu den Gewinnern unserer Kulturlandschaft. Die cleveren Überlebenskünstler haben Futter im Überfluss und milde Winter dazu genutzt, in den vergangenen Jahrzehnten ihre Population zu vervielfachen. Doch dadurch haben auch die Konflikte mit dem Urahn unserer Hausschweine zugenommen. Erfahren Sie hier mehr über die borstigen Allesfresser und ihre besonderen Eigenschaften.
Merkmale & Sinne
Bis zu 200 Kilo bringen ausgewachsene Wildschweine auf die Waage und werden in freier Wildbahn etwa zehn Jahre alt. Sie haben einen ausgeprägten Rüssel, borstiges Fell und eine gedrungene Statur.
Geschmacks-, Gehör-, Geruchssinn
Normalerweise haben Wildschweine bereits längst das Weite gesucht, bevor wir sie überhaupt zu Gesicht bekommen. Durch ihren hervorragend ausgeprägten Gehör- und Geruchssinn wissen sie jederzeit was um sie herum geschieht. Forscher haben herausgefunden, dass mehr als 1300 Gene nur für die Funktion der unterschiedlichen Duftsensoren zuständig sind. Bei der Nahrungssuche verlassen sich Wildschweine somit nahezu ausschließlich auf ihre Supernase. Interessant dabei ist, dass im Gegensatz dazu ihr Geschmacksinn nur sehr schlecht ausgeprägt ist. Wildschweine können kaum Bitterstoffe wahrnehmen und auch herzhafte und süße Aromen schmecken sie nur bedingt. Dies erklärt ihren breiten und, aus menschlicher Sicht, teils ekelerregenden Speiseplan.
Augen
Der Sehsinnsinn spielt im Vergleich zu anderen Wildtieren bei Wildschweinen keine große Rolle. Sie können zwar ein wenig mehr in der Dämmerung sehen als wir Menschen, aber sonst verlassen sie sich auf ihre sehr viel besser entwickelten Sinnesorgane. Die Augen eines Wildschweines liegen tief im Schädel eingelagert, gut geschützt durch derbe Augenlider und lange Wimpern. So sind sie bei einer Flucht durchs dichte Unterholz gut geschützt.
Fell
Das Winterfell der Wildschweine ist dunkelgrau bis braun-schwarz und besitzt borstige und lange Deckhaare. Zusätzlich schützen noch feine und kurze Wollhaare das Tier vor Auskühlungen. Zwischen den Haaren wird Luft eingeschlossen und verhindert, dass es zu einer starken Abgabe von Körperwäre kommt. Das Deckhaar ist glatt und schützt die Haut vor Verletzungen beim Durchsteifen von Gestrüpp. Während des Fellwechsels im Frühjahr, verliert das Wildschwein das Winterfell und bekommt ein kurzes, wollhaarfreies Sommerfell. Neugeborene Frischlinge sind hellbraun gefärbt mit mehreren gelblichen Längsstreifen. Die Streifen sind, ähnlich eines Fingerabdrucks, so individuell, dass man die einzelnen Tiere damit auseinanderhalten kann. Der erste Fellwechsel der Jungtiere findet mit etwa drei bis vier Monaten statt, dann bekommen sie ein bräunliches Jugendfell. Das Fell der Jungtiere schützt nicht so gut vor Feuchtigkeit wie das der erwachsenen Tiere, weshalb die Sterblichkeit bei nasskalten Witterungsverhältnissen zunimmt. Keiler haben eine deutliche Hautverdickung aus Bindegewebe am Rumpf, das sogenannte Schild. Es schützt sie bei Rangkämpfen mit Artgenossen vor schweren Verletzungen.
Zähne
Das kräftige Wildschwein-Gebiss ist mit 44 Zähnen ausgestattet, wobei sich die Eckzähne bei Männchen aufwärts krümmen. Bei sehr alten Weibchen kann dies auch in weniger ausgeprägter Form vorkommen. Bei den männlichen Wildschweinen, den Keilern, dienen die Eckzähne als wichtige Waffen, die in der Paarungszeit bei Rangkämpfen eingesetzt werden. Die unteren Eckzähne sind in der Regel 20 cm lang, können aber bei alten Tieren sogar eine Länge von bis zu 30 cm erreichen. Etwa ein Drittel des Zahnes ragt aus dem Kiefer heraus. Da die oberen und unteren Eckzähne ständig aneinander reiben, sind sie messerscharf und können einen Gegner tödlich verletzen.
Lebensweise
In Deutschland erstreckt sich die Verbreitung des Wildschweins von den Ostseeinseln bis in die Voralpen. Weltweit gibt es diese Wildtiere fast überall und sie haben sich, bis auf schneereiche Gebiete im Gebirge oder wasserknappe Wüsten, an fast alle Klimazonen angepasst.
Nahrung
Die schlauen Überlebenskünstler fressen fast alles was ihnen vor den Rüssel kommt: Von Baum- und Feldfrüchten, Insekten, Kräutern, Wurzeln und Pilzen über Weichtiere, Vögel und deren Gelege bis hin zu kleinen Säugetieren, Aas und sogar Abfällen von uns Menschen. Durch ihr breites Nahrungsspektrum finden Wildschweine nahezu überall einen geeigneten Lebensraum. Im Herbst bilden sich Fettdepots in der Bauchhöhle und Unterhaut, auf die sie jedoch nur in lang andauernden Frostphasen zurückgreifen müssen.
Fortpflanzung
Auch wenn die eigentliche Paarungszeit von Wildschweinen von November bis Januar ist, so paaren sich wildlebende Tiere in unseren Breitengraden mittlerweile das ganz Jahr über. Da die Winter mild sind und Nahrung im Überfluss vorhanden ist, werden weibliche Frischlinge bereits nach wenigen Monaten selbst geschlechtsreif. Somit kann eine Wildschweinpopulation rein rechnerisch ihren Bestand innerhalb eines Jahres verdreifachen. Treffen während der Paarungszeit Männchen aufeinander, die um ein Weibchen konkurrieren, so kommt es zu stark ritualisierten Hierarchiekämpfen. Diese beginnen mit Imponiergehabe, wobei die Gegner mit den Hufen scharren, Urin verspritzen und die Kiefer wetzen. Ergreift einer der Kontrahenten die Flucht, ist die Auseinandersetzung vorbei und der Sieger darf sich mit dem Weibchen paaren, sofern sie ihn lässt. Ergreift keiner der beiden Männchen die Flucht, so kommt es zum echten Kampf. Hierbei setzen die Tiere ihre unteren Eckzähne ein und schlagen mit seitwärts-aufwärts gerichteten Hieben gegen Bauch und Körperseite, was heftig blutende Verletzung nach sich ziehen kann. Der Kampf ist erst beendet, wenn eines der Tiere flieht.
Nach erfolgter Paarung bringt die Bache nach 114 bis 118 Tagen etwa sieben Jungtiere in einem sogenannten Wurfkessel zur Welt. Die Frischlinge sind behaart und können bereits sehen. Das Weibchen säugt ihre Jungtiere 2,5 bis 3,5 Monate lang und erst nach etwa 1,5 Jahren löst sich die Bindung zwischen ihnen auf. Die Bache verteidigt ihren Wurf vehement und fühlt sich sie bedroht, kann es auch zu Angriffen auf Menschen kommen.
Sozialverhalten
Männchen leben normalerweise als Einzelgänger, in Mutterfamilien leben das Weibchen mit ihrem letzten Nachwuchs und manchmal auch der Nachwuchs des Vorjahres, der gelegentlich schon eigene Jungtiere führt. Treffen fremde Gruppen aufeinander, so halten sie Abstand. Nur während der Paarungszeit schließen sich Männchen den Gruppen für eine gewisse Zeit an, die Bindung ist jedoch stets lose. Das Weibchen ist weiterhin das Leittier und das Männchen ruht auch nicht innerhalb des Verbandes.
Malen & Suhlen
Zur Körperpflege lieben die Wildschweine das Malen und scheuen sich dabei an borkigen und harzigen Baumstämmen. Da sie aufgrund ihres kurzen und unbeweglichen Halses nicht in der Lage sind sich zu putzen, ist das Scheuern an Bäumen notwendig und bereitet ihnen darüber hinaus großes Vergnügen. Beim Suhlen im Schlamm geht es vor allem im Sommer darum, sich abzukühlen und lästige Parasiten loszuwerden.
Mensch und Wildschwein
Aufgrund ihrer schnellen Vermehrung lösen Wildschweine immer wieder Konflikte aus und werden stark bejagt. Sie hinterlassen durch das Aufwühlen der Erde große Flurschäden in landwirtschaftlich genutzten Flächen und dringen mittlerweile sogar bis in die Vorstädte ein. Das Durchwühlen und Aufbrechen des Bodens leistet jedoch auch einen Beitrag zum Botanischen Artenschutz, denn es fördert die Keimfähigkeit der Pflanzen und führt zu einem verstärkten Wachstum. Des Weiteren ist das Wildschwein einer der wichtigsten Vektoren bei der Verbreitung von Pflanzensamen durch Endochorie (Verdauungsausbreitung).
Bei regem Kontakt mit Menschen verlieren Wildschweine mehr und mehr die Scheu und dringen noch weiter in Siedlungsgebiete vor. In den Berliner Wäldern und in der Stadt beispielsweise wird die Wildschweinpopulation auf etwa 5000 Tiere geschätzt. Sie dringen in Parks und Gärten ein, richten große Schäden an und durchwühlen Mülltonnen nach Essensresten. 2003 haben sich sogar zwei Tiere bis zum Alexanderplatz vorgewagt, die daraufhin erschossen wurden. Seitdem gilt ein strenges Fütterungsverbot, um nicht noch mehr Wildschweine in die Stadt zu locken. Von der Haltung als Haustier wird dringend abgeraten. Wildschweine gehen sehr grob miteinander um und können selbst ohne böse Absichten Menschen sehr schwer verletzen. Tatsächliche Angriffe auf Menschen kommen selten vor, sehr viel häufiger besteht die Gefahr von Wildunfällen mit einem Wildschwein im Straßenverkehr. Trifft man tatsächlich beim Spazieren oder Joggen auf ein Wildschwein, so gilt es Ruhe zu bewahren und langsam den Rückzug anzutreten. Auf gar keinen Fall sollte man den Versuch wagen Frischlinge zu streicheln, denn die Bache verteidigt diese mit ihrem Leben. Sollte man im Wald den Geruch von Maggi-Würze wahrnehmen, so kann man davon ausgehen, dass Wildschweine in der Nähe sind.
Derzeit macht die Afrikanische Schweinepest bei Wildschweinen immer wieder Schlagzeilen und es gibt mittlerweile über 2000 bestätigte Fälle in Deutschland, hinzu kommen drei bestätige Fälle bei Hausschweinen (Stand August 2021).
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